Weg in die Freiheit

Wenn eine Fliege dein bester Lehrmeister wird

Unentwegt knallt die Fliege gegen die Scheibe, obwohl das Fenster daneben offen steht. Weshalb begreift dieses dumme «Viech» nicht, dass es nur ein bisschen nach links fliegen muss und dort in die Freiheit gelangt? Nein, sie fliegt hoch, runter, weg vom Fenster, um gleich darauf wieder reinzudonnern. Nicht zum Zuschauen diese blinde Sturheit, dieses Nicht-Begreifen-Wollen, dass die Freiheit nur einen Flügelschlag vom gewohnten Pfad entfernt liegt.

 

Seit dem 29. Mai 2014 helfe ich jeder Fliege aus meiner Wohnung hinaus. Nicht aufgrund einer neu entdeckten Insektenliebe. Nein, viel entscheidender: Selbsterkenntnis! Ich suchte mit derselben Verzweiflung die Freiheit. Und mit derselben Hartnäckigkeit wollte ich nicht sehen, dass ich nur ein Schritt davon entfernt war.

 

 

Mein Bewerbungsgespräch vor sieben Jahren, als Temporärangestellte in einem Unternehmen mit 13 000 Mitarbeitenden, dauerte circa 15 Minuten, dann hatte ich den Job. Ich wusste, dass diese Arbeit nicht im Geringsten zu mir passte. Desinteressiert an meiner Tätigkeit, fasziniert von der Lebendigkeit in dem Gebäude, begeistert von dem guten Lohn und geschockt von der Abgestumpftheit und Passivität vieler Mitarbeitenden, verging ein halbes Jahr. Als ich vom selben Betrieb den Arbeitsvertrag für eine Festanstellung erhielt, sagte ich zu meinem damaligen Chef: «Bitte versprich mir, dass, sollte ich nach einem Jahr nicht von selbst gehen, du mir kündigen wirst.» Scherzhaft gesagt, ernst gemeint und doch nicht umgesetzt. Weder ging ich, noch kündigte er mir.

Bald steckte ich fest. In einem goldenen Spinnennetz der Bequemlichkeit und einem falschen Sicherheitsdenken. Ich wurde eine der vielen: träge, demotiviert, frustriert und irgendwann ganz ausgebrannt. Erschöpft von meiner eigenen Unzufriedenheit und der mangelnden Wertschätzung. Längst fehlte mir die Kraft und das Selbstvertrauen, eine neue Stelle zu suchen.

 

Die Erlösung marschierte in Form eines neuen Teamleaders direkt auf mich zu. Wir zwei gerieten uns schrecklich in die Haare. «Jetzt oder nie!», sagte ich mir, zog die Notbremse und veranlasste, dass ich innerhalb von zwei Wochen die Firma verlassen konnte. Natürlich hatte ich noch keinen anderen Job. Natürlich bekam ich saftige Einstelltage von der Arbeitslosenkasse aufgebrummt, weil ich selbstverschuldet arbeitslos wurde. Natürlich hörte ich von einigen, wie unvernünftig ich sei. Die Welt da draussen warte nicht auf eine 43-Jährige, die auch noch glaubt, als Quereinsteigerin in Zukunft ihr Geld mit dem Schreiben verdienen zu können. All diese Argumente nahm ich ernst, doch der Panzer meiner Lethargie war gesprengt. Ich habe das offene Fenster gefunden und bin in die Freiheit geflogen. Jetzt gibt es kein auf-, zurück-, festhalten mehr. Lieber verrücktes Huhn als Batteriehuhn. Lieber Neugier als Habgier. Lieber auf die Nase fallen, als gar nicht erst versuchen, in Bewegung zu kommen. Lieber den anstrengenden Weg gehen, dafür glücklich und voller Selbstvertrauen!

 

Blog aus «der arbeitsmarkt» von Leila Chaabane, Journalistin

© Leila Chaabane 

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